Forschung
Unser Projekt basiert auf dem Verständnis, dass die Europäisierung Südosteuropas als empirisches Phänomen ungenügend erforscht ist, und dass der momentan dominante analytische Ansatz von Europäisierung sehr eng ist, und oft auf problematischen, normativen Annahmen ruht. Daher will das Projekt neues Wissen über die Europäisierung Südosteuropas aus diachronischen und synchronischen Perspektiven generieren, und neue verständliche theoretische Tools für einen kritisch-konstruktivistischen Wandel in der Europäisierungsforschung schaffen. Das Projekt basiert weiters auf dem Verständnis, dass Südosteuropastudien sowie Area Studies generell limitierte Konzepte und empirische Verständnisse von Regionen haben, da sie zum Beispiel Regionen als „Container Areale“ konstruieren, die angeblich einzigartig, abgeschieden, verschieden, und „peripher“, „anders“ sind. Das Projekt beabsichtigt herauszufindend, wie diese Herausforderungen kognitiv, theoretisch, und empirisch überwunden werden können. Das heißt, Ziel des Projektes ist es neues Wissen und ein neues Verständnis von Regionen zu produzieren, die über methodischen Regionalismus und Nationalismus hinausgehen, und Südosteuropa als integralen Teil der (europäischen) Welt konzipieren.
Folgende Forschungsfragen dienen als Leitlinien, um diese Ziele zu erreichen:
1. Wer kreiert die Konzepte von Europa? Wer definiert was Europa, Europäer:innen, Europäertum und europäische Werte sind? Wie und warum wird das bewerkstelligt? Wie verändern sich diese Definitionen in Zeit und sozialem Raum, in Anbetracht von Europa und Südosteuropa, und warum? Was sind die Charakteristika von liberalen und (momentan erfolgreicheren) konservativen Definitionen und Attributen der „Vision Europas“, „Europäertum“, und „europäischen Werten“ in südosteuropäischen (und anderen europäischen) Ländern? Was sind die Charakteristika sozialer Konflikte und Verhandlungen über die Definition von „Europa“, „Europäertum“, und „europäischen Werten“?
2. Welche Strukturen und Prozesse der Vergangenheit können als Europäisierung Südosteuropas verstanden werden und warum? Welche Annahmen haben wir, während wir diese erforschen, und wie können wir diese erfassen? Wie beeinflussen vergangene Phänomene und Prozesse der Europäisierung momentane Diskurse und Praktiken der Europäisierung in Südosteuropa? Wer beschwor das Konzept von Europa als Region? Wie, wann, und aus welchen Gründen? Was resultierte daraus, und wann wurde Europa eine geschichtliche Ressource, bzw. wann nicht?
3. Was sind die Charakteristika von historischen und derzeitigen Beziehungen zwischen Nationalismus und Europäisierung, mit Hinblick auf Südosteuropa? Wie stabilisieren und co-produzieren sich diese zwei angeblich gegenseitig antithetischen Praktiken und Diskurse?
4. Wie können die Geschichte und Gegenwart Südosteuropas und die Beziehungen zum restlichen Europa theoretisch konzeptualisiert und empirisch erforscht werden, und wie hat das die EU Agenda vorangebracht? Was waren die wichtigsten Ausgleichskräfte der Europäisierung, entweder alternative Modelle oder Machtzentren präferierend, und welche sozialen, politischen, ideologischen und ökonomischen Stärken und Schwächen zeichnen diese aus?
5. Wie und warum werden Prozesse der Europäisierung geformt und kommuniziert, und welche Formulierungs-, Vermittlungs-, und Transformationsmechanismen dieser Konzepte existieren auf lange Sicht, wenn man pre-EU Prozesse der Transformation mit der Erfahrung von EU-geleiteter Europäisierung verbindet? Wie und warum reflektieren Transformationen, Modifizierung, und Ablehnung von Modellen der sozialen, wirtschaftlichen, und politischen Organisation einer bestimmten Region die a) Übertragbarkeit dieser Modelle und b) die hegemonische Macht dieser Modelle?
6. Wie und warum werden Regionen durch Prozesse der Europäisierung als relationale Räume, analytische Kategorien, und symbolische Felder konstruiert, die Zentrum-Peripherie Beziehungen definieren, mit Fokus auf Südosteuropas Beziehung zu „Europa“? Welche sozialen Bereiche Südosteuropas werden von Europäisierung umfasst, und welche werden/wurden nicht von ihr beeinflusst? Was kennzeichnet Einfluss auf individuelle soziale Bereiche in sozialen Formationen Südosteuropas?
7. Welchen Interessen dient die Europäisierung Südosteuropas, wie und warum? Wie funktioniert Europäisierung als Element der Festigung und Reproduktion politischer, ideologischer, und wirtschaftlicher Macht, Herrschaft, und Interessen innerhalb und außerhalb der Region? Welche Interessen werden bevorzugt, welche marginalisiert, und wie? Was sind die sozialen Konsequenzen dieser Machtasymmetrien?
Das Programm ist in eine Universität mit weitem interdisziplinären Fokus auf Südosteuropa und jahrelangem Interesse an den Themen des Programmes eingebettet, sowie in einem der fünf universitären Profilbereichen. Als eine der führenden Institutionen für Südosteuropastudien, repräsentiert die Universität Graz die Vorteile, sowohl innerhalb, als auch außerhalb der Region zu sein. Die Tiefe und Weite dieser Erfahrung und dieses Engagements bilden das Fundament des PhD-Programmes.
Das Programm bezieht sich auf ein bestehendes Doktoratsprogramm, bietet jedoch neue innovative Formen der Doktoratsausbildung, eng verbunden mit der Forschungsagenda der Fakultät, an; darüber hinaus fokussiert es auf Skill Development. Das Programm verbindet verschiedene Forschungsprojekte von Fakultätsmitgliedern und darin involvierte PhD-StudentInnen, Zusätzlich werden weitere Forschungsprojekte zu verwandten Themen geplant. Der policy-orientierte Fokus des CSEES fördert lösungsorientierte Skills der StudentInnen.
Das CSEES ist ein international orientiertes, Englischsprachiges, multi-disziplinäres Zentrum der Forschung und Lehre, das hochangesehene WissenschafterInnen mit Fokus auf der Region anzieht und hervorbringt. Die StudentInnen profitieren von der starken Orientierung an der Region. Konferenzen, Vorträge, Workshops, Diskussionsforen, und wöchentliche Seminare lassen StudentInnen in eine dynamische akademische Atmosphäre eintauchen, in der sie mit dem neuesten Stand in der Südosteuropa- und Europäisierungsforschung konfrontiert werden.
Der Profilbereich Dimensionen Europas, der eng mit dem Programm verbunden ist, vereint über 70 ForscherInnen von fünf Fakultäten der Universität, integriert DoktorandInnen in verschiedene Forschungsbereiche der Universität, und unterstreicht den Einsatz der Universität für Forschungsthemen des Programmes.
Die ForscherInnen der Universität bilden eine multinationale und interdisziplinäre Gruppe, die für kritische multi-dimensionale Ansätze steht. Zu dieser internationalen und akademischen Diversität trägt auch die Anwesenheit von sechs bis acht Visiting Fellows pro Semester am CSEES bei. Von PhD-StudentInnen, über Post-DoktorandInnen bis hin zu führenden Wissenschaftern, arbeiten Visiting Fellows am Zentrum und treiben dort ihre Forschung voran, und teilen diese mit der akademischen Gemeinschaft. Neben dem Lernen von und Arbeiten mit der Fakultät, haben StudentInnen des Programmes die Chance sich mit den Visiting Fellows auszutauschen und zusammenzuarbeiten. Um es kurz zu fassen, durch ihre Teilnahme am Programm werden StudentInnen Teil eines etablierten und weiter wachsenden Netzwerkes von AkademikerInnen, Fachleuten, und Institutionen, die den neuesten Stand der Forschung, Wissensproduktion und Politik in Südosteuropa repräsentieren. Die PhD-Erfahrung positioniert sie in einer einzigartigen vorteilhaften Position für ihr weiteres Karrierevorhaben, ob in der Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft, oder Privatwirtschaft.
Ethische Forschungsaspekte werden gemäß der Richtlinien und Empfehlungen der Ethikkommission der Universität Graz berücksichtigt, basierend auf dem österreichischen Universitätsgesetz und relevanten Dokumenten der Europäischen Kommission, z.B. dem „European Code of Conduct for Research Integrity“ (2011). Ethische Aspekte werden auch während des Mentorings berücksichtigt, und in DissertantInnenseminaren diskutiert (mit spezifischen Fokus auf empirischer Forschung, wie Interviews und Beobachtungen, vor allem wenn vulnerable Gruppen und/oder sensible Daten im Spiel sind). Das Programm reflektiert Genderaspekte in mindestens einer analytischen Dimension jedes einzelnen Dissertationprojektes. Unser kritischer konstruktivistischer Ansatz für Europäisierung wird von Gleichstellung und feministischen Perspektiven vorangetrieben, und fokussiert sich auf Formen des Patriarchats, wirtschaftliche Ausbeutung von Frauen, Reproduktion von Geschlechterungleichheit durch Sprache, Gesetze, und De-Säkularisierung durch Europäisierung.